Wertmarke Shell 0057 für Tankautomat, ca. 1960er bis 1970er Jahre   
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Wertmarke von Shell für Tankautomat, ca. 1960er bis 1970er Jahre




Großes Bild: Shell Token Tankautomat
Abb. 1 - Shell-Wertmarke für Tankautomat (Für eine größere Ansicht auf das Bild klicken)



Daten der Wertmarke:
Durchmesser: 25 mm
Dicke: Ca. 2 mm
Gewicht: 8,2 g


Beschreibung:
Die kreisrunde Wertmarke zeigt auf der Vorderseite in der unteren Hälfte den eingeprägten Schriftzug "Shell" und weist in der rechten oberen Hälfte ein vertieftes Rechteck mit einem rechtsstehenden erhabenen "B" auf, zudem zwei Längsnuten, einen in der Mitte und einen in der oberen Hälfte bis zum Rand verlaufend. Auf der Rückseite findet sich in der unteren Hälfte die eingeprägte Zahlenfolge "0057" sowie ebenfalls zwei Längsnuten. Da die Ausrichtung der Schriftzüge um 180° gedreht ist, ergibt sich (entgegen des oben zu sehenden Fotos) folgendes Seitenansichtsschema:


Seitenansichtsschema Shell-Wertmarke
Abb. 2 - Seitenansichtsschema Shell-Wertmarke



Material und Zustand:
Unter Berücksichtigung des Gewichts sowie der gebildeten Patina scheint es sich bei dem nicht-magnetischen Material um Bronze oder eine bronzeähnliche Legierung zu handeln, auf jeden Fall aber um eine Legierung, die einen recht hohen Kupferanteil aufzuweisen scheint. Der Zustand der Wertmarke dürfte hinsichtlich der Abnutzungsspuren altersentsprechend sein. Größere Kratzer, Eindellungen am Rand etc. sind nicht zu erkennen, die Buchstaben und Zahlen sind einwandfrei lesbar.


Anmerkungen:
Die hier gezeigte Wertmarke von Shell war dazu gedacht, an Tankstellen in Tankautomaten eingeworfen zu werden, die daraufhin eine entsprechende Menge an Kraftstoff abgaben, sofern die Zapfpistole in den Tankstutzen eingeführt war; derlei Automaten gibt es selbstverständlich noch heute, wenngleich diese auch nicht mehr mit Wertmarken betrieben werden. Es handelt sich bei diesem Shell-Coin also um ein privates Zahlungsmittel (ähnlich den Apothekentalern), das zuvor erworben werden musste und damit auch der Kundenbindung diente, zugleich auch der Einsparung von Personal, da weder für das Betanken noch für die Abrechnung solches benötigt wurde.
Der Tankautomat reiht sich damit also in die lange Geschichte der Automaten zur Erhöhung der Effizienz und der selbsttätigen Erledigung von Aufgaben ein, wobei als erster Automat wohl die Tierfalle gelten kann (in der einfachen Form heute noch z.B. die Mausefall mit Schlagbügel), die im Laufe der Menschheitsgeschichte in immer neuen Varianten erdacht wurde; auch aus der Antike sind diverse Automaten bekannt.
Über diese Wertmarke etwas herauszufinden ist keine einfache Sache, da es praktisch keine verfügbaren bzw. mit den gängigen Mitteln auffindbaren Informationen dazu gibt. Zwar finden sich im Wertmarken-Katalog Nr. 27 von Opalka einige Shell-Tankmarken (gekennzeichnet mit "Hamburg")1, nicht jedoch speziell diese mit der Kontrollnummer 0057. Darüber hinaus scheint diese Wertmarke vor einiger Zeit einmal bei ebay (für völlig realitätsferne 4,10 Euro) angeboten worden zu sein mit dem Hinweis, sie sei "alt". Doch wie alt genau, bleibt unklar. Es stellt sich also die Frage, was unter "alt" zu verstehen sein soll, insbesondere weil, wie noch zu sehen sein wird, gerade Tankmarken weniger alt sind, als man vermuten könnte, gibt es Wertmarken verschiedenster Art im weitesten Sinne doch bereits seit Jahrhunderten.
Interessant an dieser Tankstellen-Wertmarke ist aber weniger ihr Alter, ihr Gebrauch im Alltag in Verbindung mit einem Automaten oder ihr Material oder dass sie von Shell herausgegeben wurde, sondern dass der Automat, für den sie bestimmt war, nicht etwa von einer der großen Tankstellenketten entwickelt wurde, sondern von Albert Scherer aus Meggen, einem kleinen Ort im schweizerischen Kanton Luzern, der heute knapp über 6000 Einwohner aufweist.
Scherer, Sohn eines Landwirts und gelernter Automatenkonstrukteur, der sich anschließend durch Abendkurse bis zum Elektroingenieur fortbildete, erfand 1960 den Tankautomaten. Nach eigenem Bekunden hätte er seine Diplom-Arbeit sehr gern über Tankautomaten zur Selbstbedienung geschrieben, was verständlicherweise jedoch daran scheiterte, dass es solche noch nicht gab. Folglich erfand er ihn selbst, wobei er gut zwei Jahre lang Grundlagenforschung betrieb und dabei auch verschiedene Zahlsysteme berücksichtigte, sowohl Münzen wie auch Jetons und sogar Kreditkartenzahlung mit Datenfernübertragung. Ab Anfang der 1960er Jahre wurde seine Entwicklung bekannt, und die ersten Zapfsäulenhersteller bekundeten Interesse am Tankautomaten. Im weiteren Verlauf kam es, wie es kommen musste, wenn hinter einer neuen und brauchbaren Entwicklung kein großes Unternehmen mit ausufernder Rechtsabteilung steht - seine Erfindung wurde kopiert, was auch zu rechtlichen Auseinandersetzungen führte, insbesondere mit einem britischen Plagiator. Im Verlaufe des Prozesses, zu dem Hochschulprofessoren als Gutachter hinzugezogen wurden, wurde von eben diesen Gutachtern klargestellt, dass Scherer hier fundamentale Arbeit geleistet habe. Als Reaktion auf diese Ausführungen wurde Scherer schließlich 1970 in London der Ehrendoktorgrad (honoris causa) verliehen. Da Scherer nach eigener Aussage mit seiner Erfindung keineswegs reich geworden war, mag ihm diese Anerkennung vielleicht ein kleiner Trost gewesen sein.2
Unbestreitbar hat Scherer also ein gut funktionierendes System entwickelt.
Eine grobe Beschreibung der Funktionsweise (inklusive einer Funktionszeichnung) findet sich in der Official Gazette of the United States Patent Office vom 5. Juli 1966 auf S. 52 f. unter dem Eintrag 3,259,154 APPARATUS FOR DISPENSING A FLUID Albert Scherer, Postfach Meggen, Lucerne, Switzerland Filed Jul 19, 1965, Ser.No.473,039 4 Claims. (Cl. 141−209):
    "A fuel-dispensing apparatus for automotive vehicles, comprising a valve housing provided wth inlet means for liquid fuel to be dispensed, a fuel-discharge nozzle on said housing insertable into a tank of an automotive vehicle to be powered by said fuel, valve means in said housing normally blocking the passage of fuel from said inlet means to said nozzle, manual operating means for displacing said valve means into an unblocking position wherby said fuel is allowed to flow into said nozzle for discharge therefrom, and control means for disabling said operation means in the absence of an operative relationship between said nozzle and an entrance port of said tank, said control means including a first element on said nozzle and a co-operating second element on said entrance port, said housing containing a vacuum chamber communicating with said inlet means in the unblocking position of said valve means for the creation of suction in said chamber and means including a pressure-responsive element in said chamber for restoring said valve means to blocking position independently of said manual operating means upon a drop in the pressure of said chamber below atmospheric level, said chamber being provided with an air tube extending therefrom within said nozzle and having a test aperture at the insertion end of said nozzle normally connencting said chamber with the atmosphere whereby sais pressure-responsive element is rendered effective to block the passage of fuel upon the liquid level in said tank reaching said test aperture, said first element normally obstructing said test aperture and being displaceable by said element into a nonobstructing position upon insertion of said nozzle into said entrance port."3

In einer sicherlich mehr schlechten als rechten Übersetzung also:
    "Vorrichtung zur Abgabe von Kraftstoff für Kraftfahrzeuge, umfassend ein Ventilgehäuse, das mit einer Einlasseinrichtung für abzugebenden flüssigen Kraftstoff versehen ist, eine Kraftstoffabgabedüse am Gehäuse, die in den Tank eines Kraftfahrzeuges einführbar ist, welches mit dem Kraftstoff angetrieben werden soll und eine Ventileinrichtung darin, wobei das Gehäuse normalerweise den Durchgang von Kraftstoff von der Einlasseinrichtung zur Düse blockiert, eine manuelle Betätigungseinrichtung zum Verschieben der Ventileinrichtung in eine entsperrende Position, wodurch der Kraftstoff in die Düse fließen kann um aus dieser abgelassen zu werden, und eine Steuereinrichtung zum Deaktivieren der Betätigungseinrichtung bei Fehlen eines Kontakts zwischen der Düse und der Tanköffnung, wobei die Steuereinrichtung ein erstes Element an der Düse und ein zusammenwirkendes zweites Element an der Eintrittsöffnung aufweist, wobei das Gehäuse eine Vakuumkammer enthält, die mit dem Einlass in Verbindung steht, wobei in der Freigabestellung des Ventils, welches zur Erzeugung von Saugwirkung in der Kammer dient und ein auf Druck ansprechendes Element in der Kammer enthält, um die Ventileinrichtung unabhängig von der manuellen Betätigungseinrichtung bei einem Abfall des Drucks der Kammer unter Atmosphärendruck in die Sperrposition zurückzubringen, wobei die Kammer mit einem Luftrohr versehen ist, das sich innerhalb der Düse befindet und bei dem eine Testöffnung vorhanden ist wobei das Einsetzende der Düse normalerweise die Kammer mit der Atmosphäre verbindet, wodurch das auf drucksensitive Element reagiert, um den Durchgang von Kraftstoff zu blockieren, wenn der Flüssigkeitsspiegel im Tank die Testöffnung erreicht, wobei das erste Element normalerweise die Testöffnung versperrt und in eine nicht behindernde Position beim Einführen der Düse in die Tanköffnung verschiebbar ist."

Es handelte sich also um eine recht anspruchsvolle und gut durchdachte Erfindung, die erst erstaunlich spät auf der Bildfläche erscheint. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts, insbesondere befördert durch die flächendeckende Elektrifizierung und dem Einsatz elektrisch gesteuerter Elemente wie Relais oder Elektromotoren wurden zunehmend Automaten aller Art entwickelt, insbesondere auch zu Verkaufszwecken. Nach dem Eintreten der Automobilisierungswelle nach dem II. Weltkrieg im Rahmen des "Wirtschaftswunders" wäre eigentlich damit zu rechnen gewesen, dass die (gegen vorheriger Zahlung) automatische Abgabe des nunmehr von größeren Bevölkerungsteilen benötigten Kraftstoffs (der anfangs noch in Apotheken erworben werden musste4) sehr viel schneller realisiert werden würde - doch scheint außer dem heute weitgehend vergessenen Erfinder Albert Scherer niemand auf den Gedanken gekommen zu sein. Und das, obwohl es in Deutschland Tankstellen bereits seit 1922 und Großtankstellen seit 1927 gibt und die Zahl an Tankstellen Ende der 1930er Jahre sogar ca. 60000 betrug5.
Letztendlich ist der Tankautomat ein schönes Beispiel für Dinge, die mittlerweile den Alltag durchdrungen haben und so gut wie überall zu finden sind, deren Geschichte aber so gut wie unbekannt ist und deren Erfinder längst vergessen sind. Aber ebenso auch dafür, dass jemand auch aus einfacheren Verhältnissen mit Zielstrebigkeit, Gelehrsamkeit und Durchhaltevermögen den Alltag der Menschen nachhaltig verändern kann.

Zu guter Letzt: Anhand des verwendeten Materials, der Patina und des höchstmöglichen Alters wird das Alter der hier behandelten Wertmarke auf die 1960er bis 1970er Jahre geschätzt. Eine genauere Bestimmung wäre nur möglich, wenn Shell als Herausgeber der Wertmarke hierzu Daten zur Verfügung stellen würde (und sei es nur der Zeitpunkt, zu dem Shell Tankautomaten eingeführt hat), die jedoch nicht vorliegen. Hinweise hierzu werden dankend entgegengenommen.




1 Vgl. Opalka 2010: 8 f.
2 Vgl. mwg 1970.
3 U.S. Department of Commerce (Hrsg.) 1966: 51 f.
4 Vgl. ATR SERVICE GmbH 2019.
5 Vgl. ebd.





Quellenangaben:

ATR SERVICE GmbH (2019): Die Geschichte der Tankstelle: von der Apotheke zum Tankpalast. In: motus Das Mobilitätsmagazin. Unter: https://www.motusmagazin.de/mobilitaet/die-geschichte-der-tankstelle/, 15.02.2022.

mwg (1970): Der Erfinder der Tankautomaten. In: Neue Zürcher Zeitung Nr. 460 vom 4. Oktober 1970. Unter: http://nzz-files-prod.s3-website-eu-west-1.amazonaws.com/2017/11/1/88dc1c9a-baae-4447-9182-55fbe1479ff2.pdf, 15.02.2022.

Opalka, Gerd (2010): Wertmarken-Katalog 27. Katalog der Wertmarken für Tankautomaten (Deutschland). Unter: https://wertmarkenforum.de/Downloads/G.%20Opalka%20-%20Wertmarken-Katalog%20-%2027%20-%20Wertmarken%20f%C3%BCr%20Tankautomaten.pdf, 14.02.2022.

U.S. Department of Commerce (Hrsg.) (1966): 3,259,154 APPARATUS FOR DISPENSING A FLUID. In: Official Gazette of the United States Patent Office, Vol. 828, Nr. 1. Unter:
https://books.google.de/books?id=p55npk4pw44C&pg=PA151&lpg=PA151&dq=Albert+Scherer+Meggen&source=bl&ots=yOuYnAOZSA&sig=ACfU3U1armLWanTRTmDui
_Kv55SKiBEEzw&hl=de&sa=X&ved=2ahUKEwjMi56aq__1AhUFuqQKHe7tB9kQ6AF6BAgSEAM#v=onepage&q=
Albert%20Scherer%20Meggen&f=false
, 14. 02.2022.






Seite erstellt am: 16.02.2022
Zuletzt geändert am: 05.03.2022
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