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Kategorie-Bearbeitungsstatus: Abgeschlossen
Sozialinformatik - eine wissenschaftstheoretische Verortung
(Dieser Beitrag erschien zuerst in Standpunkt : sozial, 3/2013, S. 36 - 45. Er entspricht weitgehend bis auf minimale Änderungen dem Originalartikel. Der zitierbare Ursprungsartikel findet sich als PDF online unter SSOAR - Open Access Repository.)
Die Sozialinformatik (oder Sozioinformatik?) als (nicht mehr ganz so junge) Disziplin mit einer mittlerweile bald vierzigjährigen Entwicklungsgeschichte tut sich schwer damit, geeignete, originäre Methoden zu entwickeln und sich bezüglich der Sozialen Arbeit und der Informatik theoretisch zu verorten. Da jedoch teilweise der Anspruch erhoben wird, daß es sich bei ihr um eine "wissenschaftliche Disziplin" handelt, stellt sich die Frage, welche Wissenschaftskriterien sie erfüllt.
Historische Entwicklung
Die Entwicklung der Computertechnologie oder (moderner) "IT" und ihre Auswirkungen und
Möglichkeiten auf Teilbereiche der Sozialen Arbeit wird nun bereits seit weit über zwanzig
Jahren reflektiert. Ein erster früher, schon historisch zu nennender Beitrag (Computer und
Sozialarbeit, veröffentlicht in Blätter der Wohlfahrtspflege), stammt von Arnold Schwendtke
und datiert ins Jahr 1968. Bei Schwendtke findet sich noch in Ansätzen das damals durchaus übliche MIS-Paradigma1, also die auf der Kybernetik basierende Vorstellung eines "Total
System Approach", womit nach Oppelt (1995: 107) ein regelrecht allmächtiges und allgegenwärtiges Führungsinformationssystem gemeint ist, das nicht nur Informationsaufgaben
erfüllen, sondern auch unternehmensinterne Steuerungs- und Kontrollaufgaben übernehmen
sollte, wobei der Einsatz solcher und ähnlicher Systeme auch in der öffentlichen Verwaltung
ebenfalls auch als Rationalisierungsmaßnahme erwogen wurde2 - ein Ansatz, der letztendlich (auch) an der Komplexität menschlichen Sozialverhaltens gescheitert ist. Ein tatsächlicher Diskurs zum Thema "Computer und Soziale Arbeit" setzte jedoch erst in den 1980er
Jahren insbesondere durch die Bildung der AG Computer und Sozialarbeit ein, wobei bei
dieser zuerst Fragen des Computereinsatzes während des Studiums im Mittelpunkt standen
(Kirchlechner 2000), parallel verlaufend zu einer Einführung "wilder PCs" in Institutionen der
Sozialen Arbeit "von unten" (vgl. Bolay & Kuhn 1993) sowie ersten Studien zum Einsatz von
Computern im Sozialwesen, die zum Teil von Mitgliedern der AG Computer und Sozialarbeit durchgeführt wurden3; Anfang der 1990er Jahren rückten dann in der AG Fragen der Vernetzung u.a. von Sozialfachbereichen in den Vordergrund, gefolgt von curriculumsbezogenen
Fragestellungen ab ca. 1995, bis sich die AG schließlich 1999 auflöste (Kirchlechner 2000).
Ungefähr zur selben Zeit begann sich der Begriff der Sozialinformatik zunehmend zu etablieren, wobei Halfar & Müller (2001) schon früh einen "inneren Kreis" der Sozialinformatik auszumachen glaubten.
Verleysdonk & Vogel (1990: 33) sprachen allerdings bereits mehr als zehn Jahre zuvor eher
kritisch vom "Sozial-Informatiker", womit spezifisch qualifizierte "Operatoren" und Programmierer gemeint waren, die verantwortlich sein sollten für die Hardware, Betriebssysteme und die dafür verfügbare Software in Verbindung mit den notwendigen Service-Leistungen – was
in gewisser Hinsicht teilweise der Beschreibung von Arbeitsfeldern und Tätigkeitsprofilen ähnelt, wie sie für den Master-Studiengang Sozialinformatik an der KU Eichstätt auf der zugehörigen Website dargestellt werden4. Mitte der 1990er Jahre wurde der Begriff "Sozialinformatik" dann zunächst von Mehlich (1996), wenig später auch von Halfar (1997) und
Wendt (1999) verwendet, der im Jahre 2000 auch einen Sammelband zum Thema sowie
eine erste (bis heute kaum hinterfragte) Definition der Sozialinformatik vorlegte, flankiert und gefolgt von verschiedenen Curriculumsvorschlägen. Schneller in dieser Hinsicht war man
jedoch in der Schweiz – dort startete bereits im Jahr 2000 ein Masterprogramm Sozialinformatik, das 2002 auf der ConSozial in Nürnberg vorgestellt wurde und bis heute besteht*.
Auch waren 2004 einige entsprechende Aktivitäten an der FH Joanneum in Österreich zu
verzeichnen (vgl. Janatzek 2007: 52), obwohl es in Österreich bislang nicht zur Einrichtung
eines Studiengangs kam. In Deutschland startete der erste Studiengang zur Sozialinformatik
ebenfalls als nicht-konsekutiver Masterstudiengang an der KU Eichstätt im Oktober 2009.
Obwohl es also mittlerweile diverse Studiengänge zur Sozialinformatik gibt (und darüber hinaus vielfältige Lehrinhalte mit IT-Bezug an Ausbildungsstätten im deutschsprachigen Bereich, die keinen eigenen sozialinformatischen Studiengang anbieten), ist das Thema "Sozialinformatik" keineswegs das Leitmotiv des Computer- und Internet-Diskurses innerhalb der
Sozialen Arbeit oder der Ausbildung – im Gegensatz zu dem immer größer werdenden Interesse an der Online-Beratung, der Problematik von Internet- und Computersucht, der Möglichkeiten des Einsatzes von Web 2.0-Applikationen usw. Auch E- und Blended-Learning
bzw. Telematik und Ambient Assisted Living (AAL) werden seit Jahren immer wieder thematisiert, jedoch nur höchst selten im sozialinformatischen Zusammenhang.
Verständnisweisen von Sozial- und Sozioinformatik
Es stellt sich die Frage, warum dies so ist, wobei mehrere Gründe möglich wären. So könnte
dies z.B. daran liegen, dass es durchaus sehr unterschiedliche Ansätze hinsichtlich einer
Sozialinformatik gibt, die sich noch einmal erweitern, wenn noch andere, ähnliche "Informatiken" beschreibende bzw. alternative Bezeichnungen wie z.B. Sozioinformatik (vgl. Peterander 2001; Jurgovsky 2004) oder Sozialberufeinformatik (Stahlmann 1999) hinzu kommen.
Dahinter verbergen sich durchaus unterschiedliche Verständnisweisen dessen, was unter
"Sozialinformatik" gefasst werden kann oder könnte.
So liegt beim Verständnis der Sozialinformatik nach Mehlich (2005) ein Schwerpunkt auf
dem E-Government allgemein und den Möglichkeiten des Internets hinsichtlich der Vernetzung und zur Nutzung derselben für Zwecke des E-Governments (was zwangsläufig zu
Überschneidungen mit der Verwaltungsinformatik führen dürfte); beim "ostschweizer Weg der Sozialinformatik" spielen hingegen medienpädagogische und methodische (z.B. Case
Management) Aspekte eine größere Rolle, was in besonderem Maße auch für Social Media
und dessen Einsatz im Bildungs- und Sozialbereich gilt. Jurgovsky hingegen übte bereits
2002 nicht unberechtigte Kritik an der damaligen Sozialinformatik, betonte ihre Abhängigkeit
von der Informatik ("Ruf nach dem großen Bruder"), kritisierte ihre Verweigerungshaltung
hinsichtlich der Entwicklung eigener Erstellungskompetenzen und hinterfragte in gewisser
Hinsicht auch ihre Daseinsberechtigung. Insgesamt gesehen lässt sich sagen, dass
Jurgovsky einen ausgeprägten emanzipatorischen Ansatz vertrat, den er dann 2004 (unter
erneuerter und erweiterter Kritik an der Sozialinformatik) unter dem Begriff der Sozioinformatik, die er als Methode verstanden wissen wollte, zu einem interessanten GWA-Ansatz ausbaute. Und auch hierbei forderte er eigene Erstellungskompetenzen auf der Produktionsebene.
Der Hinweis auf die Produktionsebene findet sich ebenfalls bei der von Peterander vertretenen Sozioinformatik, insbesondere bezüglich individueller, den Gegebenheiten der jeweiligen
Organisation angepasster Software (was sich durchaus auch in konkreten Softwareprojekten
niederschlug). Die entsprechenden Initiativen, Konzepte und Entwicklungen sollen dabei
nach Peterander aus der Sozialen Arbeit selbst kommen.
Janatzek (2007) nahm diese emanzipatorischen Ansätze (wiederum unter dem Begriff der
Sozialinformatik) auf, kritisierte aber den bisher kaum vorhandenen Klientenbezug und betonte infolgedessen die Klientel und das Klientenwohl, letztendlich Sinn, Ziel und Zweck Sozialer Arbeit, und dass eine Sozialinformatik sich vorrangig (doch nicht ausschließlich) darauf
beziehen müsse. Weiterhin forderte auch Janatzek eigene Erstellungskompetenzen in Verbindung mit einer hermeneutischen Vorgehensweise, so dass hier von einer "klientenzentrierten" oder "klientenorientierten Sozialinformatik" gesprochen werden kann. Weiterhin stellte Janatzek fest, dass es der bisherigen Sozialinformatik sowohl an einer klar verortbaren
Gegenstandsbeschreibung wie auch an theoretischen Grundlagen fehle und verwies darauf,
dass ohne eigene Erstellungskompetenz die einer angewandten Informatik immanente Gestaltungsaufgabe nicht erfüllt werden könne, was letztendlich dazu führe, dass die bis dahin
diskutierte Sozialinformatik eben nicht als angewandte Informatik angesehen werden könne.
Eine weitere Verständnisweise der Sozialinformatik könnte als "manageriale Sozialinformatik" oder "Sozialwirtschaftsinformatik" (vgl. Janatzek 2007: 72) bezeichnet werden (wenngleich auch weiterhin ohne Erstellungskompetenz und -motivation), die hauptsächlich an der
KU Eichstätt vertreten zu werden scheint und eine äußerst strikte Ausrichtung auf das Sozialmanagement aufweist, aus dem sie (neben der Sozialen Arbeit) ihre Fragestellungen beziehen soll. Es kann wohl ohne Zweifel festgestellt werden, dass diese Form der Sozialinformatik in Deutschland am bekanntesten ist und sich im Schrifttum am häufigsten findet, so dass bei Personen, die sich nicht sehr intensiv mit dieser Thematik befassen, häufig der Eindruck entstehen könnte, dass dies gleichzeitig auch die einzige Form wäre. Dies ist sicherlich auch der regelmäßig durchgeführten Eichstätter Fachtagung geschuldet sowie der Gründung eines Lobby-Vereins (FINSOZ e.V.), wobei auffällig ist, dass die darin involvierten Personen in vielfachen Querverbindungen stehen. So sind Vereinsmitglieder gleichzeitig in der Lehre der managerialen Sozialinformatik tätig, unterhalten geschäftliche Beziehungen zueinander und beteiligen sich an den Fachtagungen, auf der wiederum viele Unternehmensberatungen usw. zu finden sind, Softwarefirmen wiederum sind ebenfalls Vereinsmitglieder, treten als Sponsoren des Masterstudiengangs Sozialinformatik an der KU sowie des regelmäßig erscheinenden und durch die Arbeitsstelle Sozialinformatik an der KU erstellten IT-Report ("Marktstudien") auf und sind auch auf der ConSozial vertreten, die wiederum mit dem FINSOZ e.V. verbunden ist. Eine ähnliche (aber nicht genau übereinstimmende) Art von Beziehungsgeflecht also, das Rolf (2008: 102 ff) als "Informatiksystem" beschreibt und das insofern nicht ganz unüblich ist.
Auch anhand konkreter Lehrinhalte, die Bezüge zur IT bzw. zu "Computerthemen" aufweisen, lässt sich zeigen, dass Sozialinformatik im Studium der Sozialen Arbeit keinen großen
Raum einnimmt und zudem verschiedene Inhalte damit verbunden werden. Dies ergab eine
Analyse eben jener Lehrinhalte an deutschsprachigen Hochschulen des WiSe 2009/2010, an
denen Soziale Arbeit studiert werden kann (unter Auslassung der genannten Masterstudiengänge).
Es handelte sich dabei um 38 Hochschulen aus Deutschland, 3 aus Österreich und 2 aus der
Schweiz, also um 62,32 % aller untersuchten Hochschulen, während sich für 37,68 % keine
entsprechenden Lehrinhalte finden ließen. Insgesamt fanden sich bei den untersuchten
Hochschulen 128 thematisch relevante Lehrveranstaltungen (deutsche Hochschulen: 125;
Österreich: 3; Schweiz: 0) und 19 thematisch relevante Modulbeschreibungen (deutsche
Hochschulen: 16, Österreich: 0, Schweiz: 3), die sich auf 55 Studiengänge verteilten und
wobei in den Bachelorstudiengängen knapp 3,5 mal häufiger computertechnische und / oder
EDV-bezogene bzw. "computerthematische" Inhalte angeboten wurden als in den Masterstudiengängen.
Die inhaltliche Auswertung der Lehrveranstaltungs- und Modulbeschreibungen ergab dabei
in einem ersten Schritt folgende kategoriale Zuordnungen:
Wie zu sehen liegen Inhalte, die sich auf Sozialinformatik beziehen, nur etwa im mittleren
Feld und umfassen 10,20 % aller relevanten Lehrveranstaltungen. Hinsichtlich der Anzahl
der Hochschulen ist das Verhältnis besser: 13 Hochschulen entsprechen 18,84 % aller untersuchten Hochschulen und 30,23 % der Hochschulen, für die tatsächlich relevante Lehrangebote ermittelt werden konnten. Dies verweist vorerst auf zwei Dinge. Erstens scheint der
Begriff der Sozialinformatik sich in den vergangenen Jahren nicht sehr verbreitet zu haben,
da bereits in einer früheren Studie (Janatzek 2007) 15 Hochschulen Seminare mit sozialinformatischen Inhalten angeboten hatten. Selbst wenn man eine gewisse Datenunsicherheit
unterstellt, so kann doch von keiner signifikanten Ausweitung der Angebote zur Sozialinformatik gesprochen werden (wobei berücksichtigt werden muss, dass die FH St. Gallen nicht
in der jetzigen Zählung enthalten ist und in 2007 die Anzahl untersuchter Hochschulen 71
statt 69 betrug. Beides würde aber nur marginale Verschiebungen hinter dem Komma nach
sich ziehen); allerdings kommt noch hinzu, dass 5 (= 33,33 %) Veranstaltungen der jetzigen
Zählung in Masterstudiengängen angeboten wurden. Masterstudiengänge wurden 2007 nicht
in der Auswertung berücksichtigt. Rein rechnerisch hat sich also sogar (setzt man Bachelorstudiengänge mit den früheren Diplomstudiengängen gleich) eine Verringerung an
Lehrangeboten mit expliziten sozialinformatischen Bezügen ergeben. Zweitens ist festzustellen, dass pro Hochschule rein rechnerisch nur 1,15 Veranstaltungen der Kategorie Sozialinformatik angeboten wurden. Setzt man dies in Beziehung zu Veranstaltungen mit anderen
Inhalten bzw. anderen fachlichen Zuordnung wie z.B. Psychologie, Soziologie oder Recht
erscheint dies als sehr gering. Gleichzeitig jedoch lässt sich feststellen, dass diese Inhalte
keineswegs als homogen anzusehen sind, sie beinhalten teilweise sehr verschiedene Ansätze oder verfolgen unterschiedliche Schwerpunkte. Während z.B. ein Lehrangebot der KU
Eichstätt eindeutig Inhalte vermittelt, die eng mit dem Sozialmanagement verknüpft sind (wie
auch bei der Hochschule Mittweida, MA Sozialmanagement), liegt bei der Fachhochschule
Kiel ein Schwerpunkt auf dem Forschungseinsatz, der auch bei der KFH Mainz vorkommt.
Auch werden (neben wiederum eher dem Sozialmanagement zuzuordnenden Inhalten wie
Sozialplanung) mehrfach Inhalte auf den pädagogischen Einsatz bzw. E-Learning bezogen
(Medienpädagogik). Zudem finden sich teilweise praktische Übungen oder kritische Auseinandersetzungen mit bestimmten Themen – was zeigt, dass keineswegs ein Konsens über
den Begriff der Sozialinformatik und der ihr zugeschriebenen Aufgaben und Inhalte herrscht,
ein Schluss, der bereits in der Studie 2007 gezogen werden konnte und sich hier erneut bestätigt. "Die" Sozialinformatik gibt es also eigentlich nicht, sondern nur ein zersplittertes Interessenfeld, das in irgendeiner Form mit Computertechnik bzw. Software und Sozialer Arbeit zu tun hat.
Ein zweiter Grund, warum das Thema "Sozialinformatik" offensichtlich kein Leitmotiv des
Computer- und Internet-Diskurses innerhalb der Sozialen Arbeit oder der Ausbildung darstellt, könnte darin liegen, dass die Sozialinformatik offenbar keinerlei Beitrag zur methodischen und theoretischen Erweiterung der Sozialen Arbeit bzw. der Sozialarbeitswissenschaft
leistet, was drittens dazu führen könnte, dass so manche damit befasste Person sich fragen
mag, wie es überhaupt um die Wissenschaftlichkeit der Sozialinformatik bestellt sein könnte.
Sozialinformatik – eine wissenschaftliche Disziplin?
Der Anspruch, eine wissenschaftliche Disziplin zu sein, wird insbesondere und in vielfacher
Weise durch die manageriale Sozialinformatik erhoben. Es mag ketzerisch wirken, dies zu
hinterfragen, denn wie könnte ein Fach, das immerhin an Hochschulen gelehrt wird, etwa
nicht gleichzeitig auch eine wissenschaftliche Disziplin sein? Ist nicht allein die Tatsache,
dass es eine Professur dafür gibt, Beweis genug? Und garantiert ein akademischer Abschluss, zudem noch einer auf Master-Niveau, an sich nicht schon die Wissenschaftlichkeit
des Faches?
Hierzu kann angemerkt werden, dass das (vereinzelte) Vorhandensein irgendwelcher
Lehrinhalte oder Fächer an Hochschulen nur ein äußerst schwaches und zudem logisch
nicht ganz nachvollziehbares Argument für die Existenz einer wissenschaftlichen Disziplin
wäre, sofern es vorgebracht würde. Denn dann müsste mit gleichem Recht auch z.B. der
Eurythmie der Status einer wissenschaftlichen Disziplin zuerkannt, zumindest aber ihre Grundlagen (in diesem Fall die als esoterisch zu bezeichnende Anthroposophie Rudolf Steiners) als zweifelsfrei wissenschaftlich anerkannt werden, denn immerhin kann auch die Eurythmie in Deutschland sowohl auf Bachelor-, als auch auf Master-Ebene studiert werden, und dies gleich an mehreren Hochschulen5. In Traunstein sollte nach Presseberichten eine "Hochschule für Homöopathie" angesiedelt werden, an der sowohl Bachelor- (of Science!) wie auch Masterstudiengänge in Homöopathie angeboten werden sollten. Auch die Homöopathie wäre dann als "wissenschaftliche Disziplin" anzusehen gewesen. Und dies sind nur zwei von vielen möglichen Beispielen für die sich in der deutschen Hochschullandschaft immer mehr ausbreitenden "Fächer" und Lehrinhalte, die entweder als esoterisch oder als empirisch völlig zweifelhaft gelten können. Der Schluss, dass allein das Vorhandensein einer Sozialinformatik im akademischen Diskurs oder als Ausbildung deshalb schon eine wissenschaftliche Disziplin generiert, kann also – soll nicht auch allerlei Absurditäten die wissenschaftliche Tür geöffnet werden – nicht gezogen werden, sofern nicht deutlich wird, warum gerade die Sozialinformatik eine Wissenschaft sein soll, andere an Hochschulen gelehrte Fächer aber nicht. Auch der formal in einem Fach zu erlangende Abschluss kann sicherlich kein Kriterium zur Feststellung einer wissenschaftlichen Disziplin sein, denn er sagt letztendlich nur sehr bedingt etwas über die Lehrinhalte und ihren wissenschaftlichen Status aus, und schon gar nichts über den wissenschaftlichen Status der Leistung, mit der der Abschluss erworben wurde. Dies belegt eine ganze Reihe von Abschlussarbeiten. So z.B. eine (als bestanden benotete) Master-Thesis, in welcher der positive Nachweis der Wirksamkeit des sog. "Kozyrev-Spiegels" geführt wurde (ein "Gerät", eigentlich nur eine Aluminiumröhre, mit der das Hellsehen und die Kommunikation durch außersinnliche Wahrnehmung mit Verstorbenen und Außerirdischen ermöglicht werden soll), Dissertationen, welche die Brauchbarkeit der Astrologie belegen wollen usw. Auch das Vorhandensein von Professuren an sich sagt wenig über den wissenschaftlichen Wert und Status eines Faches aus, denn ansonsten
müsste die Komplementärmedizin, insbesondere die Homöopathie, ganz einwandfrei eine
wissenschaftliche Disziplin sein, wurde doch im Jahre 2008 an der Charité in Berlin eine Professur für Komplementärmedizin besetzt, gefördert mit einer Million Euro durch die Carstens-Stiftung.
Auch wenn man den Standpunkt vertreten kann, dass Wissenschaft zweckfrei sein kann
oder soll, so wird von ihr gewöhnlich doch ein gewisser Nutzen erwartet, zumindest auf der
gesellschaftlichen Ebene - und auf jener der Auftragsforschung ganz gewiss.
Würde es nicht schon ausreichen, dass dieser Nutzen, entstehend unter akademischer Beteiligung, gegeben ist, um eine wissenschaftliche Disziplin Sozialinformatik zu rechtfertigen?
Immerhin legt Kreidenweis (2008) recht beeindruckende Zahlen hinsichtlich der Ausgaben
für "Sozial-Software" und den damit verbundenen Serviceleistungen vor, die sich auf ca. 140
Millionen Euro allein für das Jahr 2007 belaufen haben sollen. Die Ökonomie, so Kreidenweis (ebd.) weiter, lehre uns, dass nur für jene Güter Geld ausgegeben würde, die einen
gewissen Nutzen stiften oder von denen ein Nutzen erwartet wird. Immerhin würden zudem
auch von der Herstellung und Wartung in Deutschland über 100 Firmen mit durchschnittlich
20 Mitarbeitern "leben", weshalb sich der Verdacht aufdränge, dass ein solches Tun tatsächlich irgendjemandem nützen könnte (vgl. ebd.). Dies ist selbstverständlich richtig, denn den Softwareherstellern und den spezialisierten Unternehmensberatungen (wie sie z.B. von Kreidenweis betrieben wird) nützt dies zweifellos, waskeineswegs polemisch gemeint ist, sondern ein Faktum darstellt. Letztendlich wäre aber ein ökonomisch ausgerichtetes Nutzenargument, mit dem sich so gut wie alles (auch z.B. Euthanasie) rechtfertigen lässt, fragwürdig. Denn auch für Drogen, Kriegswaffen und Walfleisch gibt es einen Markt, und sowohl die Konsumenten dieser Erzeugnisse wie auch die Kunden von Wahrsagern, Astrologen und "Orgon-Therapeuten" bezahlen in Erwartung eines Nutzen für derlei Produkte und Dienstleistungen viel Geld, wobei all diese Märkte Milliardenumsätze zu verzeichnen haben. Und speziell bei "Sozial-Software", also ein wichtiges Themenfeld managerialer Sozialinformatik, ist keineswegs gesichert, dass diese einen (wenn auch nur ökonomischen) Nutzen entfaltet, was zum einen auf vielfältige Investitions- und Organisationsproblematiken und zum anderen auf das sog. "Produktivitätsparadoxon der IT" verweist (vgl. Janatzek 2011: 110 ff). Ein unreflektiertes ökonomisches Nutzenargument kann (auch) deshalb keine starke Begründung für das Vorhandensein eines Faches sein, und schon gar
nicht als Argument für dessen Wissenschaftlichkeit dienen, ja noch nicht einmal für die Sinnhaftigkeit des Faches bzw. seines Gegenstandsbereiches selbst.
Ob es sich bei der managerialen Sozialinformatik (um die es hier ausschließlich geht) tatsächlich um eine wissenschaftliche Disziplin handelt muss deshalb auf andere Weise untersucht werden, da sich eine Beurteilung wie oben dargestellt nicht ohne weiteres aus dem
formalen Vorhandensein des Fachs ergibt. Zudem würde eine oberflächlichere Betrachtung
auch dem vielfältigen Engagement der involvierten Personen nicht gerecht.
Wissenschaft und Theoriearbeit
Die Frage, was Wissenschaft ist, wurde bereits auf vielfältige Weise zu beantworten versucht, ohne jedoch jemals zu einer allseits befriedigenden Antwort zu führen. Und auch hier
kann, um es gleich vorwegzunehmen, keine solche Antwort gegeben werden. Dennoch aber
lässt sich ein gewisser Konsens feststellen, was der Kern der wissenschaftlichen Betätigung
und damit auch Kern der Wissenschaft sein kann, und zwar sowohl über "Wissenschaftsgrenzen" hinweg als auch bei Vertretern unterschiedlichster wissenschaftstheoretischer Ausrichtung. Dabei handelt es sich weder um das Suchen nach Erkenntnis noch nach Wahrheit (wenngleich dies auch eine sehr große Rolle spielt), sondern um die Theoriearbeit als verbindendes Element aller Wissenschaften.
Theoriearbeit kann dabei auf unterschiedlichen Ebenen geleistet werden. Nämlich erstens
auf der Ebene der Fundamentaltheorieentwicklung, die eine ganze Disziplin neu begründen
oder aus dem Zustand der Proto-, eventuell sogar der Pseudowissenschaftlichkeit herausheben kann. Zweitens auf der Ebene der Theorieintegration (Integration von Theorien aus
verwandten Fächern oder Bezugswissenschaften mit entsprechenden fachspezifischen Anpassungen). Drittens auf der Ebene der Theorieanpassung (Erweiterung oder Einschränkung
ihrer Reichweite). Und damit zusammenhängend viertens auf der Ebene der Theoriefalsifikation, sofern dies möglich ist und nicht nur zum dritten Punkt führt.
Nun wurde allerdings bereits festgestellt, dass es der managerialen Sozialinformatik gerade
an der Theoriebildung fehlt (vgl. auch Kreidenweis 2012: 28), gleichfalls an der Methodenentwicklung und der Sozialinformatik insgesamt an einer akzeptablen Gegenstandsbeschreibung und Gegenstandsbestimmung. Es ließe sich einwenden, dass es sich bei "der" Sozialinformatik um eine noch "junge Disziplin" handele, so dass Theoriearbeit noch nicht weit gediehen sein (oder überhaupt verlangt werden?) könne. Dem kann jedoch entgegengehalten werden, dass dann eben darauf verzichtet werden müsste, den Status einer wissenschaftlichen Disziplin zu beanspruchen. Zudem wäre auch nicht zwingend eine fundamentaltheoretische Entwicklung notwendig, da Theoriearbeit auch durch Theorieintegration geleistet werden könnte. Wie Kreidenweis (2012: 19) schreibt, seien sich "die Fachvertreter" weitgehend einig, dass primärer Bezugspunkt einer Sozialinformatik die Soziale Arbeit (und nicht etwa eine Sozialarbeitswissenschaft) sei. Nun herrscht bekanntlich bezüglich der Sozialen
Arbeit keineswegs ein Theoriemangel, eher vom Gegenteil könnte die Rede sein. Dennoch
hat es die manageriale Sozialinformatik bis heute versäumt, hier eine theoretische Anschlussmöglichkeit zu entwickeln. Gleiches gilt für die (trotzdem) in Frage kommende Informatik bzw. (für die manageriale Sozialinformatik wohl passendere) Wirtschaftsinformatik.
Zwar gibt es hier die Schwierigkeit, dass keine der beiden Disziplinen über eine Fundamentaltheorie verfügt. Jedoch wurde bereits viel Theoriearbeit geleistet, und es lassen sich durchaus Theoriekerne, zumindest aber theoretische Konzepte finden. Doch auch hier wurde
bisher der theoretische Anschluss der managerialen Sozialinformatik verschlafen. Theoretisch nicht anschlussfähig ist die manageriale Sozialinformatik hingegen an das Sozialmanagement. Dieses stellt selbst nach Ansicht wichtiger Vertreter des Sozialmanagements
bzw. des Managements in der Sozialwirtschaft lediglich eine Methode ohne eigene theoretische Grundlage dar und wird bei Galuske (2008: 333 ff) auch als solche behandelt.
Wenn also Theoriearbeit ein wesentliches, konstitutives Kriterium von Wissenschaft ist, dann
verweist dies auf die Nicht-Wissenschaftlichkeit der managerialen Sozialinformatik.
Wissenschaftskriterien nach Stichweh
Doch ist Theoriearbeit nicht das einzige Kriterium, anhand dessen das Vorhandensein einer
wissenschaftlichen Disziplin festgestellt werden kann. So hat Stichweh (1994: 17) einige "typische" Kriterien zur Identifizierung und Charakterisierung einer wissenschaftlichen Disziplin
herausgearbeitet. So sei erstens ein "Korpus wissenschaftlichen Wissens, der in Lehrbüchern repräsentiert ist, d.h. sich durch Kodifikation, konsentierte Akzeptation und prinzipielle
Lehrbarkeit auszeichnet" erforderlich. Zweitens verweist Stichweh auf eine "Mehrzahl je gegenwärtig problematischer Fragestellungen" und drittens auf das Vorhandensein eines Sets
von Forschungsmethoden sowie paradigmatischer Problemlösungen. Viertens schließlich
zeichne sich eine wissenschaftliche Disziplin aus durch "eine spezifische Karrierestruktur
und institutionalisierte Sozialisationsprozesse, die der Selektion und »Indoktrination« des
Nachwuchses dienen" und fünftens sei ein hinreichend homogener Kommunikationszusammenhang von Forschern (also eine scientific community) notwendig.
In der Anwendung dieser Kriterien auf die manageriale Sozialinformatik erwies sich, dass
diese Form der Sozialinformatik die genannten Kriterien nicht erfüllt oder dass einzelne Kriterien aufgrund mangelnder "sozialinformatischer Substanz" gar nicht vollumfänglich anwendbar sind.
Letzteres gilt z.B. für das Kriterium "Korpus wissenschaftlichen Wissens, der in Lehrbüchern
repräsentiert ist, d.h. sich durch Kodifikation, konsentierte Akzeptation und prinzipielle Lehrbarkeit auszeichnet". Zwar ist die manageriale Sozialinformatik durchaus lehrbar, und es gibt auch ein Lehrbuch der Sozialinformatik (Kreidenweis 2004; 2012; 2020). Doch ist es beim Vorhandensein nur eines Lehrbuches eben nicht möglich, festzustellen, inwiefern hier tatsächlich eine konsentierte Akzeptation kodifizierter Inhalte vorliegt und nicht nur die Ansicht eines einzigen Autors. Denn dass diese keineswegs mit anderen Ansätzen der Sozial- oder Sozioinformatik oder mit spezifischen Lehrinhalten anderer Richtungen übereinstimmen muss (und
dies auch nicht tut), wurde bereits oben dargelegt. Nur die Existenz eines Lehrbuchs an sich
kann logischerweise auch kein Kriterium sein, da dies zu einem Paradoxon führen würde.
Auch die Anwendung des Kriteriums "Mehrzahl je gegenwärtig problematischer Fragestellungen", das insbesondere auf den Forschungsbereich verweist, führt nicht weiter. Die einzige "Forschungsstelle", die es gibt, ist die Arbeitsstelle Sozialinformatik an der KU Eichstätt.
Diese beschränkt sich jedoch weitgehend darauf, entweder Auftragsforschung zu betreiben
oder die regelmäßig erscheinenden IT-Reports zu erstellen, die "Marktstudien" darstellen. Es
lässt sich wohl kaum die Ansicht vertreten, dass dies "gegenwärtig problematische Fragestellungen" behandelt. Zudem soll "die" Sozialinformatik ihre Fragestellungen aus der Sozialen Arbeit und dem Sozialmanagement beziehen (Kreidenweis 2012: 28), wozu auch solche
der Informatik hinzukommen könnten (letzteres wird einerseits möglich durch die beständige
Versicherung der Vertreter der managerialen Sozialinformatik, dass es sich bei dieser um eine angewandte Informatik handele, also um einen Bereich, der als "vierte Säule der Informatik"6 gilt und andererseits, falls die manageriale Sozialinformatik theoretische Anschlussmöglichkeiten bei der Informatik suchen sollte). Doch welche Fragen z.B. der technischen, theoretischen, praktischen oder angewandten Informatik könnten von einer managerialen Sozialinformatik wohl bearbeitet werden? Welche problematischen Fragestellungen der Sozialen Arbeit? Unterzieht man die Forschungstätigkeit im Bereich der managerialen Sozialinformatik einer genaueren Untersuchung, so stellt sich bald heraus, dass die Nichtbearbeitung von Fragestellungen aus der Sozialen Arbeit (und der Informatik) zu einem Widerspruch innerhalb der managerialen Sozialinformatik führt, da diese dann ihrem eigenen Anspruch nicht gerecht wird. So wird also im Bereich der managerialen Sozialinformatik gar nicht auf der Grundlage "gegenwärtig problematischer Fragestellungen" geforscht, also keine Fragen in dem Sinne beantwortet.
Das dritte Kriterium, das auf das Vorhandensein eines Sets von Forschungsmethoden sowie
paradigmatischer Problemlösungen verweist, ist ebenfalls nicht bzw. nur teilweise anwendbar. Denn paradigmatische Problemlösungen können – kurz gesagt - weder in der gesamten
Sozialinformatik, noch speziell in der managerialen Sozialinformatik festgestellt werden. Was
Forschungsmethoden betrifft, so wäre zunächst einmal zu trennen zwischen Grundlagenforschung, Auftragsforschung und "Marktstudien". Da Grundlagenforschung jedoch nicht betrieben wird, muss dies nicht näher betrachtet werden. Was Auftragsforschung und Marktstudien betrifft, so werden dort Forschungsmethoden mit qualitativen und quantitativen Ansätzen aus anderen Feldern übernommen, jedoch gibt es keine fachspezifischen Forschungsmethoden und auch keine bearbeiteten Forschungsgegenstände, die solche Methoden erforderlich machen würden, da das Forschungsniveau als recht niedrig angesehen werden
kann und insbesondere hinsichtlich des Umfangs nicht vergleichbar ist mit dem der Sozialen
Arbeit oder der Informatik. Ein "Set von Forschungsmethoden" könnte also nur dann ausgemacht werden, wenn diese nicht fachspezifisch sein müssen und sofern "Set" hier als nicht
zusammengehörige Methoden verstanden wird7, sondern eher als Methodensammlung ohne
zwangsläufig gegebenen inneren Zusammenhang und ohne theoretische Bezüge der Methoden zueinander.
Das vierte Kriterium, das Vorliegen einer spezifischen Karrierestruktur und institutionalisierte
Sozialisationsprozesse, die der Selektion und "Indoktrination" des Nachwuchses dienen, wird
ebenfalls nicht erfüllt. Denn zwar gibt es mittlerweile auch auf der Bachelorebene sozialinformatische Studiengänge, doch hat dies nichts mit dem Master-Studiengang der KU
Eichstätt zu tun, der wohl zweifellos einer managerialen Sozialinformatik zuzuordnen ist und sich als nicht-konsekutiver Studiengang explizit auch an Informatiker, Betriebswirte usw. richtet. "Karrierestruktur" lässt sich allerdings auch auf noch zwei weitere Weisen verstehen,
nämlich zum einen im Sinne einer "akademischen Karriere" und zum anderen als "Berufskarriere". Ersteres würde aber einen grundständigen Studiengang mit nachfolgendem konsekutiven Master und anschließendem Doktorat, also ein dreistufiges Studienmodell erfordern
(Staub-Bernasconi 2012: 5), und dies ist bei der managerialen Sozialinformatik offensichtlich
nicht gegeben. Was hingegen eine Berufskarriere betrifft, so wäre, legt man dazu die Ausführung auf http://www.sozialinformatik.de/master zugrunde (Einsatz von Sozialinformatikern
als "IT-Manager", als Berater oder Vertriebler bei Fachsoftware-Herstellern oder eine Tätigkeit bei Unternehmensberatungen) die jeweilige Karriere doch höchst individuell, so dass von
einer "Struktur" oder einer irgendwie planbaren Karriere wohl keine Rede sein kann.
Das letzte Kriterium, ein hinreichend homogener Kommunikationszusammenhang von (in der
managerialen Sozialinformatik sowieso nur sehr bedingt vorhandenen) Forschern (scientific
community) bedürfte eigentlich einer ausführlicheren Betrachtung, die den hier zur Verfügung stehenden Rahmen um ein Vielfaches sprengen dürfte. Dennoch kann in einer sehr
verkürzten Darstellung darauf hingewiesen werden, dass Stichweh sich hinsichtlich dieses
Kriteriums hauptsächlich auf Kuhn bezieht, bei dem der Begriff des Paradigmas untrennbar
mit dem der scientific community verbunden ist. Wie jedoch bereits zu sehen war, lässt sich bezüglich der managerialen Sozialinformatik (und "der" Sozialinformatik überhaupt) kein Paradigma feststellen, das eine scientific community (die nicht identisch ist mit einer partiellen Interessengemeinschaft) in Wechselwirkung formen könnte, so dass das Vorhandensein
einer scientific community als fraglich angesehen werden kann.
Somit bleibt nur der Schluss zu ziehen, dass unter der Zugrundelegung der Kriterien nach
Stichweh es sich bei der managerialen Sozialinformatik nicht um eine wissenschaftliche Disziplin (sondern eher um eine Art Protowissenschaft) handelt und ebenso wenig um eine angewandte Informatik (vgl. Janatzek 2007: 37). Insgesamt stellt sich zudem wegen des weitgehenden Fehlens eines Klientenbezugs die Frage, ob sich (in Anlehnung an Mühlum &
Buttner 2010: 163) ein solches Fach überhaupt noch unter das disziplinäre Dach der Sozialen Arbeit einordnen lässt.
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1 MIS = Management Information System; Führungsinformationssystem.
2 Vgl. zu MIS auch Rolf 1998 und zu den Anfängen des EDV-Einsatzes als Rationalisierungsmaßnahme in der damaligen Bundesanstalt für Arbeit in den 1950er Jahren Bahnmüller & Faust 1992: 43 ff, zur Gesamtentwicklung der bundesrepublikanischen Verwaltungstechnisierung bis in die 1970er Jahre Garstka et al. (Hrsg.) 1980 sowie die vielfältigen Ausführungen zur Technisierung der Sozialhilfe bei Ehlert & Kantel 1990.
3 Dringenberg 1987; Meyer 1988; Feth et al. 1988; Angaben nach Verleysdonk & Vogel 1990: 15 f.
4 "Absolventen des Masterstudiengangs Sozialinformatik übernehmen IT-Verantwortung in Sozialwirtschaft und Sozialverwaltung. Dort formen sie IT-Strategien, leiten Projekte der Auswahl und Einführung von Hard- und Softwaresystemen, gestalten das IT-Servicemanagement und nehmen Budgetverantwortung wahr." (http://www.sozialinformatik.de/master, 25.09.2013.)
5 So an der Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft (HfK Alfter), der Freien Hochschule Stuttgart und in Witten/Annen am Institut für Waldorf-Pädagogik in Kooperation mit der Hoogeschool Leiden / Den Haag.
6 Vgl. Hoffmann 2010: 12.
7 Zugrunde gelegt wird hier die Definition des Begriffs "Set" nach dem Duden, also "mehrere zusammengehörende gleichartige oder sich ergänzende Gegenstände"; vgl.
http://www.duden.de/rechtschreibung/Set_Ensemble_Drehort_Einstellung., 04.10.2013.
Quellen:
(Anmerkung: Die Form der Quellenangabe entspricht der des Originalartikels, der sich diesbezüglich wiederum an den von der Redaktion der Standpunkt : sozial gemachten Vorgaben zu halten hatte.)
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Zuletzt geändert am: 20.10.2022
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